S. Zala et al. (Hg.): Diplomatische Dokumente der Schweiz 1991

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Title
Diplomatische Dokumente der Schweiz 1991.


Editor(s)
Zala, Sacha; u.a.
Published
Bern 2022: Diplomatische Dokumente der Schweiz (DDS)
Extent
386 S.
by
Georg Kreis, Europainstitut der Universität Basel; Georg Kreis, Europainstitut der Universität Basel

Auf die Printedition der diplomatischen Akten für das Jahr 1990 folgt ein weiterer Band für das Jahr 1991, wiederum mit einer sorgfältigen Auswahl von 62 Dokumenten, verknüpft mit 1’700 zusätzlichen Dokumenten der elektronischen Datenbank Dodis. In der substanziellen, von Thomas Bürgisser und Sacha Zala verfassten Einleitung werden sieben Themenfelder unterschieden: 1. die Guten Dienste, 2. Migrations- und Flüchtlingspolitik, 3. Reformprozesse in Osteuropa und Zerfall der Sowjetunion, 4. Verhandlungen über den EWR-Vertrag, 5. Mitwirkung in internationalen Organisationen, 6. Wirtschaftsbeziehungen zu aussereuropäischen Ländern inkl. die Entwicklungszusammenarbeit und 7. schliesslich die aussen- und innenpolitischen Interferenzen. Letzteres wird auch mit Abbildungen der Protestdemonstrationen gegen den Golfkrieg (Januar 1991), gegen die Ausschaffung kurdischer Flüchtlinge (März 91) und gegen die serbische Repressionspolitik in Kosovo (Mai 1991) dokumentiert sowie zu der gleichzeitig mit dem Diplomatenempfang im Rahmen der 700-Jahrfeier ebenfalls auf dem Bundesplatz abgehaltenen Demonstration des Frauenstreiks (14. Juni 1991).

Die militärische Sicherheit erhält kein eigenes Feld. Sie hätte möglicherweise zusätzliche Beachtung verdient. Berührt wird diese Problematik durch ein Dokument, das zur Geheimtruppe P-26 den halbwegs beruhigenden Befund vermittelt, dass sie an keiner internationalen Widerstandsorganisation beteiligt war (Dok. 49). Wegen der weiterhin offenen und zugleich bedrängenden Frage, wie die Schweiz ihr Verhältnis zu Europa gestalten möchte, können die Dokumente zu den EWR-Verhandlungen besondere Aufmerksamkeit finden. Dies haben die interessierten Medienreaktionen im Moment der Publikation des Bandes im Januar 2022 gezeigt.1 Sie offenbaren Hintergründe und Voraussetzungen der beiden bundesrätlichen Positionsbezüge, die – mit kritischer Beurteilung – ins kollektive Gedächtnisses eingegangen sind: die im Ausland (!), das heisst von Luxemburg aus abgegebene Erklärung vom 21./22. Oktober 1991 über die Zustimmung zum EWR-Vertrag und zum EG-Beitritt als Zielsetzung sowie der 4:3 Bundesratsbeschluss vom 20. Mai 1992 für eine Verhandlungsaufnahme zum EG-Beitritt. Die jetzt zugänglich gemachten Dokumente (insbes. Dok. 48) zeigen die Divergenzen innerhalb der Landesregierung auf. Sie illustrieren aber auch die vorherrschende Meinung, dass der EWR keine dauerhafte Lösung, aber für die schrittweise Annäherung an die EG ein akzeptabler Weg sei. Der Bundesrat war sich der beim Volk, den Bürgern und Bürgerinnen bestehenden Vorbehalte bewusst, hoffte aber auf Zustimmung, sofern man sich der Bedeutung der wirtschaftlichen Interessen bewusst werde. Das ebenfalls publizierte und nicht anonymisierte Protokoll der Sitzung der aussenpolitischen Kommission des Ständerats vom November 1991 zeigt, dass beides, der EWR-Vertrag und das Ziel des EG-Beitritts, auch von dieser Seite gutgeheissen wurde (Dok. 56).

Der Band belegt in mancher Hinsicht die Weiterführung gegebener Geschäfte, er zeigt aber auch, dass es als Folge intensivierter internationaler Kontakte in der weiteren Entwicklung auch zahlreiche Premieren gab: die erste Bundesratsreise in den Iran (April), den erstmaligen Besuch eines ungarischen Staatsoberhaupts (Mai) nach der Wende, erstmals präsidiert ein schweizerischer Bundesrat (Ogi) die Konferenz der Internationalen Energieagentur (Juni), der Empfang des Dalai Lama durch einen Bundesrat (August), die Einsetzung eines Sonderbotschafters beim Vatikan (Oktober) und die erstmalige Präsenz eines Bundesrats an einem Gipfeltreffen der Frankofonie (November).

Nachdenklich kann die von Staatssekretär Blankart notierte Mahnung des EG-Chefunterhändlers Krenzler vom Juni 1991 stimmen, wonach sich die Schweiz in einem die Gesetzgebung, aber auch die Mentalität betreffenden Modernitätsdefizit befinde (Dok. 27).

Und erstaunen kann, dass brennende Probleme der Gegenwart bereits vor über 20 Jahren erörtert wurden: etwa die Herausforderungen der Klimapolitik im Januar 1991 im Hinblick auf die Konferenz von Rio de Janeiro im Juni 1992 (Dok. 1) oder in einer internen Korrespondenz vom April 1991 die Feststellung, dass Israel seine Siedlungspolitik «mit Konstanz und Arroganz» betreibe (Dok. 15).

Die in diesem Band erstmals zugänglich gemachten Dokumente, geben eine erste Orientierungshilfe und regen dazu an, sich vertieft mit der Aussenpolitik der Schweiz sowohl im Jahr 1991 als auch davor und danach zu beschäftigen.

Anmekrung:
1 Vgl. etwa Christoph Lenz, Charlotte Walser, Geheime Dokumente offengelegt – warum der Bundesrat plötzlich in die EU wollte, in: Der Bund, 1. Januar 2022.

Zitierweise:
Kreis, Georg: Rezension zu: Sacha Zala et al. (Hg), Diplomatische Dokumente der Schweiz 1991, Bern 2022. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 72 (2), 2022, S. 334-335. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00108>.

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